Ein ungewohnter Weg zur Arzneiwahl
1
Klassischerweise werden in der Homöopathie die Symptome des Erkrankten verglichen mit denen, die Arzneimittel beim Gesunden hervorbringen können. Dafür gibt es die Repertorien, die Symptomen-Verzeichnisse, mit denen die Arzneimittelwah (seelische oder körperliche Symptome sind den Arzneien gleichsam gegenübergestellt) erleichtert wird. Nun ist das ein recht lexikalischer, trockener Weg, der noch dazu abhängig ist vom Vorhandensein guter, das heißt deutlicher Symptome. Wir wollen jetzt nicht auf die homöopathische Methodik im Detail eingehen, sondern nur auf die Tatsache, dass ein Arzneimittel der Homöopathie nicht primär heilt, sondern die Ausscheidungs- und Regenerationsprozesse (was man landläufig als Krankheit bezeichnet) fördert. Auch chronische, das sind die unbeweglichen Leiden, nichts als stagnierende Prozesse, wir könnten sie als die ungesunden Krankheiten bezeichnen, werden wieder zu akuten, also - dürfen wir es so nennen - zu gesunden Krankheiten, zu dynamischen Ausscheidungsvorgängen. Nun ist es immer so gewesen, dass die Arzneimittel dem Wesen der Erkrankung ähnlich sein müssen, damit steckende Prozesse wieder ins Fließen kommen, Krankheiten also ausgetrieben werden können, wie der sinnige alte Ausdruck es beschreibt. Wobei die potenzierten Arzneien, es wurde eben beschrieben, nur mehr oder weniger materielle, untergeordnete Hilfsmittel sein können, die (vielleicht vergleichbar) wie ein Tropfen Öl wirken.
Eine Erkrankung und das ihr entsprechende Arzneimittel können wir als biologische Resonanz bezeichnen. Die Essenz des Mittels drückt auch der Klang seines Namen aus -weshalb sich jeder Mensch im Prinzip selber die Mittel erarbeiten kann. So ähnlich wie beim Stimmen der Geige oder Gitarre die Töne im rechten Verhältnis schwingen und der Musikerweiß, dass das jetzt passt, so ist es auch bei homöopathischen Arzneimitteln. Die Fragestellung kann zum Beispiel folgende sein: Welcher Name klingt angenehm, wohltuend, tröstlich, heilsam, sympathisch. - Das hört sich zu einfach an? Gute Dinge haben es an sich, einfach zu sein. Aber selbstverständlich: jeder, der es gern kompliziert haben will, dem mag nach seinem Willen geschehen.
Doch noch kurz zur Geschichte dieser einfachen und so sinnvollen Methode: Eines Tages rief eine Frau aus der Schweiz an, die einen homöopathischen Arzt suchte. Sie sagte, sie habe vom Verfasser gehört und sein Name habe sie angesprochen. Später in der Praxis sprachen wir über ihre Beschwerden, über das Woher, Warum, Wieso, Wozu. Zum Schluss stand die Arzneimittelwahl an. Die Klientin sagte: »Schlagen Sie mir einige Mittel vor, ich sag Ihnen, welches das richtige ist.« Verwundert und auch erfreut nahm ich das Angebot an. Schon länger suchte ich nach anderen Wegen der Arzneiwahl, denn der klassische mittels der erwähnten Repertorien kann schnell mühsam bis schwerfällig werden. Nun, die in Frage kommenden Mittel waren Nux vomica (Kommentar der Klientin: »zu dunkel, zu schwer«), Phosphor (»zu leicht, zu flüchtig«) und Pulsatilla - nach kurzem Überlegen sagte sie: »Ja das ist es, das passt. Und die Blüte hat eine Farbe wie mein Sweater.« Sie trug einen in altrosa/lila, wie die Blüte der Kuhschelle, Pulsstilla. Auf die Frage, wie sie dies denn wissen könne, antwortete sie: »Weiß auch nicht, das ist so drinnen in mir, der Name des Mittels.« Und was die Farbe betrifft: nur auf den allerersten skeptischen Blick muten solche Analogien oder Assoziationen erstaunlich an.
Seit damals arbeite ich in meiner Praxis nahezu ausschließlich auf diese Art, denn schließlich soll doch der Fragesteller, also der Klient beziehungsweise die Klientin, sein eigener Arzt sein - und der äußere Arzt sei der Berater, der Gehilfe in der »Lehrveranstaltung« Sei dein eigener Arzt. Nur am Rande sei erwähnt, dass gerade Kinder ganz hervorragend nach dieser Art ihre Mittel wählen können, oft zum Erstaunen zweifelnder Mütter oder Väter. Aber, wie gesagt, heutigentags verwundert das niemanden mehr wirklich. Wir sagen dazu neues Denken, vertikales Denken, Denken von innen nach außen und in Analogien. Es ist ein intuitives Denken, getragen vom sicheren Wissen und der Erfahrung, dass und wie alles miteinander verwoben ist. Ist es das, was Freiheit genannt werden soll? Wie oft fragte ich mitten in der Nacht meine Kinder, wenn sie husteten, welche Mittel sie nehmen wollen - und in der Regel schliefen sie nach der Einnahme der genannten Arznei durch bis zum nächsten Morgen.
Siehe dazu »Organon der Heilkunde« von S. Hahnemann, besonders § 153. Aber auch die Ausführungen in Homöopathie verstehen und anwenden, wo diese Möglichkeit der Arzneimittelwahl beschrieben ist.
J.E. Berendt: »Nada Brahma - Die ganze Welt ist Klang«